Friedrichshafen, den 13. Mai 2021
Liebe Frau Giffey,
erlauben Sie mir, alle Titel und Ämter in meiner Anrede weglassen zu dürfen, denn ich möchte Ihnen von Mensch zu Mensch schreiben.
Aufgewachsen bin ich im Garten meiner Großmutter: Himbeeren naschen, den Vögeln beim Nestbau zuschauen, barfußlaufen, auf dem Hüttendach liegen und mit den Wolken träumen. All das war in den 60er Jahren mitten in Frankfurt noch möglich und hat mir eine intensive Verbindung mit der Natur geschenkt.
Mit der Ölkrise in den 70er Jahren und den Veröffentlichungen des Club of Rome tauchte der Umweltschutz als Thema in der Gesellschaft auf; seither wird überwiegend geredet, wobei fast alle Politiker bis heute das große Narrativ vom notwendigen Wachstum aufrechterhalten. Insbesondere Margreth Thatcher betonte, dass es angeblich keine Alternativen dazu gebe. Doch wohin hat das geführt? Wo stehen wir heute, nach 50 Jahren Umweltschutz-Gerede, Green-Washing und einem immer noch extremeren Ausbeuten von Natur und Mensch? Der Earth Overshot-Day war für Deutschland dieses Jahr am 5. Mai!!!
Während der Pandemie hat sich zudem noch ein ganz anderes Thema verschärft: Kinder sitzen heute nicht nur zum Fernsehschauen oder während ihrer Computerspiele vor einem Bildschirm; ein Großteil des Unterrichts läuft nun über digitale Medien, hinzukommen weitere APPs – zum Beispiel Trainingsprogramm in der Logopädie – während die Stunden, die Kinder und Jugendliche draußen in der Natur verbringen, ständig weniger werden. Wir schätzen nur, was wir kennen – das ist eine alte Weisheit. Doch kennen reicht nicht aus – wir brauchen wieder eine Beziehung zur Natur, zu unseren Mitmenschen und zu uns selbst. Das ist und wird im digitalen Zeitalter noch wesentlicher!
Ich bitte Sie daher eindringlich: Tun Sie etwas dafür, dass Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene, wieder eine tiefe Verbindung zur Natur entwickeln können. Ohne diese tiefe Verbindung sehe ich kaum eine Möglichkeit, den Planeten für die nachkommenden Generationen lebenswert zu halten. Dazu zählen für mich unter anderem folgende Punkte: (1) Unterstützen Sie den Ausbau der biologischen Landwirtschaft, Stichwort Humusaufbau und CO2-Bindung im Boden, (2) Schaffen Sie Möglichkeiten für Urban Gardening, für die Verwandlung von Flachdächern und Parkflächen in grüne Oasen, für die Einrichtung von Schulgärten mit entsprechendem Ausbau des Personals, (3) Schränken Sie per Gesetz Computerspiele für Jugendliche ein, die nachgewiesen ein süchtig machendes Potential haben, wie zum Beispiel Fortnite, (4) machen Sie sich stark für abschaltbares WLAN in allen Bildungseinrichtungen, (5) Unterstützen Sie den Ausbau von sicheren Radwegen nach Kopenhagener Vorbild, (6) Etablieren Sie Unterrichtsstunden in praktischer Umweltbildung, in Meditation, Gemeinwohlökonomie und Gewaltfreier Kommunikation …
Sagen Sie jetzt nicht, dass das alles Geld kostet. Es ist genug Geld da, denn schließlich werden auch die Umwelt- und Gesundheitsschäden bezahlt; aber leider immer noch nicht von jenen, die sie zu verantworten haben. Hier beginnt wahre Klimagerechtigkeit für die nachfolgenden Genrationen. Machen Sie sich stark für eine Transaktionssteuer, dafür, dass Unternehmen wie Amazon Steuern zahlen und ihren Beitrag zur Allgemeinheit leisten. Machen Sie sich stark dafür, dass Umwelt- und Gesundheitsschäden in die Produkte eingepreist werden und die Verursacher diese auch zahlen. Wer dagegen umwelt- und ressourcenschonend arbeitet, sollte entsprechend Vorteile genießen.
Sie sagen Klimaschutz ist für Sie Querschnittsaufgabe – was genau soll das heißen? Ist es wieder nur ein Schlagwort? Eine Worthülse, wie so viele andere in der Politik? Ich wünsche mir, dass Politikerinnen und Politiker Farbe bekennen und Klartext reden. Wir brauchen Ehrlichkeit und Transparenz.
Ich freue mich auf eine Antwort von Ihnen.
Mit freundlichen Grüßen
Karin Schwind
Dieser Brief wurde bei dem Klima Write-in der Writers for Future geschrieben.
Der Briefwechsel wird öffentlich geführt.