Sehr geehrter Herr Haseloff,
im Wahlprogramm Ihrer Partei taucht ein Spruch auf, der mich persönlich sehr nachdenklich macht: „Unsere Heimat – unsere Verantwortung“.
Ich bin eine Autorin in Berlin, und jeden Morgen, bevor ich mich an den Schreibtisch setze, laufe ich durch den Grunewald. Ich freue mich am Grün der Bäume, höre die Vögel jubeln, rieche die Erde, und das macht mich glücklich. Aber so oft in den letzten Jahren war ich bedrückt, weil ich hautnah erlebt habe, wie drei Dürrejahre in Folge diesem wunderbaren Wald zugesetzt haben. Auch dieses Jahr wollen so viele Sträucher und Bäume nicht mehr ergrünen, sie sind tot. Der Boden unter dem Wald ist zwar direkt unter meinen Füßen noch feucht, aber in der Tiefe fehlt ihm das Wasser.
In Ihrem Heimatland ist es noch schlimmer. Das dort ansässige Leibniz-Zentrum für Umweltforschung (UfZ) hat jüngst davor gewarnt, dass in Sachsen-Anhalt, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern Niedersachsen neue Dürren drohen, weil die Böden in der Tiefe extrem ausgetrocknet sind. Und der Chef des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Ihr Parteikollege Armin Schuster, warnt vor Trinkwasserknappheit in den nächsten Jahren – im regenreichen Deutschland! So weit sind wir schon gekommen.
Das alles sind unübersehbare Zeichen dafür, dass der Klimawandel auch Ihre Heimat aufsucht. Und an Ihre Verantwortung appelliert, viel mehr zu tun für den Erhalt der Schöpfung als bisher. Wasserknappheit und Waldsterben sind deutliche Warnzeichen. Ohne die Kühlung der Wälder werden Hitzesommer noch unerträglicher. Kein Geld an die Waldbesitzer und keine neuen Technologien werden die Bäume retten, wenn der Regen immer geringer wird. Und ohne genügend Wassernachschub gibt es irgendwann nichts mehr zu ernten, nichts mehr zu essen und zu trinken.
Sie haben zwei Söhne und vielleicht auch Enkel oder gar Urenkel. In welcher Welt werden diese 2050 oder gar 2100 leben, wenn schon jetzt der Wald stirbt? Vielleicht ist ein Nachfahre von Ihnen gerade erst geboren, er wird 2100 nicht mal 80 Jahre alt sein. Wenn dann die Erderhitzung so ungebrochen weitergegangen sein wird wie bisher, wird er eine schreckliche Welt erleben, eine, in der Hitzewellen und Fluten alltäglich sind und Millionen Menschen sich aufmachen, weil sie sich in ihren Heimatländern, etwa in Afrika, nicht mehr aufhalten geschweige denn etwas anbauen können. Das ist die eindringliche Botschaft fast aller Klimawissenschaftler weltweit.
Ich möchte in einer solchen Welt nicht leben, sondern in einer Welt, in der Klimagerechtigkeit herrscht – wie es jüngst das Bundesverfassungsgericht in seinem Klimaurteil angemahnt hat. Das heißt nach dem Verursacherprinzip, dass diejenige Generation, die bisher am meisten Treibhausgase in die Atmosphäre entlassen hat, auch am meisten Verantwortung dafür übernehmen sollte, das Klima wieder zu stabilisieren. Das heißt, dass diejenigen Nationen, die bisher am meisten Treibhausgase in die Atmosphäre entlassen haben, auch am meisten Verantwortung dafür übernehmen sollten, unseren wunderschönen Planeten zu regenerieren.
Ich möchte nicht, dass meine und Ihre Enkelkinder aushalten müssen, was unsere Generation verpatzt und verpasst hat. Ich möchte, dass alle Kinder auf dieser Welt hoffnungsvoll in die Zukunft schauen können.
In diesem Sinne hoffe ich, dass der Wahlspruch „Unsere Heimat – unsere Verantwortung“ nicht nur eine Parole für Sie ist. Und dass Sie mit starken Klimaschutzmaßnahmen dafür sorgen, dass in Sachsen-Anhalt und ganz Deutschland – Sie sind ja derzeit Bundesrats-Präsident – Klimagerechtigkeit einkehrt. Damit Wälder, Böden, Tiere, Pilze, Pflanzen und Menschen auf Dauer eine Chance haben. Damit der Regen weiter fließt. Damit wir alle genug zu essen haben. Damit wir im Sommer nicht Hitzetote beklagen müssen. Damit uns und unseren Nachkommen nicht der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Damit unsere Lebensgrundlagen erhalten bleiben – sonst ist Heimat keine lebenswerte Heimat mehr, sondern nur noch ein staubtrockener leerer Begriff.
Mit freundlichen Grüßen
Ute Scheub
Dieser Brief wurde bei einem Klima-Write-In der Writers4Future geschrieben. Der Briefwechsel wird öffentlich geführt.