Liebe Annalena Baerbock,
es ist Sommer 2021, in Süddeutschland toben Unwetter, mit zum Teil sintflutartigen Regenfällen, verbunden mit mehr als 80 Todesopfern. Es erschüttert mich, wie deutlich die Natur uns zu signalisieren scheint, worum es doch eigentlich geht: Nämlich um alles. Ums nackte Überleben. – Nicht nur von uns Menschen, sondern der Natur, der Umwelt, der Pflanzen und Tiere.
Schon die Pandemie hat uns gelehrt, finde ich, dass es der falsche Weg ist, zu denken, dass wir Menschen alles im Griff haben und alles lösen und immer so weitermachen können wie bisher. Alles kontrollieren können. Durch Wachstum Wohlstand zu generieren und Innovationen, die dann wiederum (scheinbar) alle Probleme lösen. Dass das ein Irrweg ist, sollte wohl spätestens jetzt jedem klar sein, denn wir erleben ja gerade hautnah, wohin uns das führt. Das Wahlprogramm der Grünen und auch Ihr Engagement tragen dem Rechnung, finde ich. Aber wie viel wird bleiben, nach Koalitionsverhandlungen und gewachsenen Strukturen, die eher für ein Weiterso sprechen?
Dazu gehört wohl auch, dass versucht wird, den Wahlkampf wegzulenken von den Inhalten hin zu Lebenslaufdiskussionen und Plagiaten in ihrem Buch. Wenn mit so harten Bandagen gekämpft wird, so denke ich, ist das immer ein Zeichen dafür, dass es ans Eingemachte geht. Dass möglicherweise Interessengruppen ihre Felle davonschwimmen sehen. Schade ist, dass es davon ablenkt, worum es im Kern eigentlich geht. Nämlich um unser aller Zukunft.
Sie haben zwei kleine Töchter. Jetzt geht es darum, dafür zu kämpfen, dass sie und ihre Kinder und Kindeskinder in Zukunft auch weiterhin auf bunten Sommerwiesen herumtollen können; bunte Blumensträuße pflücken, das Summen der Bienen, das Singen der Vögel erleben dürfen. Das Gefühl nasser Erde an ihren Füßen spüren, wenn sie nach einem Sommerregen barfuß durch den Wald laufen. In Flüssen, Seen und Meeren unbeschwert baden können und spüren, wie schön es ist, im Einklang mit der Natur zu leben. Sich als Teil von ihr zu erleben. Es klingt nach Bullerbü und Ponyhof, vielleicht. Aber manchmal muss man vielleicht das innere Kind in sich wieder aktivieren, um zu spüren, wie abgetrennt von all dem wir inzwischen leben. Und daran zu erkennen, was wirklich wichtig ist im Leben. Oder noch dringender: Was wichtig ist für unser Handeln, damit wir alle über-leben. Und Verantwortung zu übernehmen für die Generationen, die nach uns kommen.
Manchmal fängt es mit Worten an: Das Leben im Einklang mit der Natur. Ohne sie auf ihren Nutzen zu reduzieren: Nutz-Tiere – was für ein schreckliches Wort oder Un-Kraut oder Un-Geziefer in diesen Reigen gehört dann auch das Wort un-menschlich. Denn ich finde es un-menschlich, wenn wir weiter Raubbau an der Natur betreiben.
Wahrscheinlich sehen Sie als Mutter ohnehin vieles aus der Perspektive ihrer kleinen Töchter. Lassen Sie sich diese Empathiefähigkeit bitte nicht nehmen. Sicher ist es eine Art Stahlgewitter, durch das Sie nun gehen müssen. Doch ich hoffe, Sie haben ein stärkendes und schützendes Team um sich, dass Ihnen auch weiterhin die Stärke gibt, sich auch weiterhin mit ganzem Herzen und voller Kraft für die Klimagerechtigkeit einzusetzen.
Hoffnungsvolle Grüße,
S.C.M.
Dieser Brief wurde bei den Klima-Write-ins der Writers for Future geschrieben und wird auf der Homepage veröffentlicht. Ich würde mich über Ihre Zustimmung freuen, Ihre Antwort ebenfalls veröffentlichen zu dürfen.